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Schreibzirkel: 52 Wörter

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random.xme

21, Weiblich

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Schreibzirkel: 52 Wörter

von random.xme am 30.08.2024 20:14

Schreibzirkel 52 Wörter

Die Idee

Schön war es, als sich eine kleine Gruppe mutiger Schreiberlinge versammelte und ein Jahr lang jede Woche einen Text zu wöchentlich wechselnden Wörtern schrieb. Dabei war der Kreativität keine Grenze gesetzt und besonders staunen konnte man über die vielen verschiedenen – kreativen Umsetzungen. Ich möchte diese Idee zurück auf RSH holen und möglichst vielen Menschen die Möglichkeit dazu geben daran teilzunehmen & die Texte zu lesen.
Ursprünglich hieß die Gruppe "52 Wörter Schreibchallenge" und ich wollte den Namen aus nostalgischen Gründen gern weiter führen. Dabei beziehen sich die 52 Wörter auf die Kalenderwochen eines Jahres, aber keinesfalls auf die Textlänge ;)

Der gegenseitige Austausch

In regelmäßigen Abständen hat sich eben diese kleine Gruppe auf Discord getroffen, um über geschriebene Texte zu vorzulesen, sich gegenseitig Feedback zu geben oder über andere Themen zu quasseln. Absprachen diesbezüglich können zukünftig gleich auf Discord getroffen werden.

Der Ablauf

Einmal in der Woche poste ich ein Wort in das Forum zu dem jede:r der darauf Lust hat einen Text schreiben kann (ob Gedicht, Rollenspielbeitrag oder Prosatext – eurer Kreativität ist an der Stelle keine Grenze gesetzt)
Vorzugsweise schreibt ihr einen Text zum aktuellen Wort der Woche, aber ihr könnt natürlich auch zu den anderen Wörtern etwas schreiben.

Um diesen Thread übersichtlich zu gestalten, wäre es schön, wenn ihr eurem Text einen Titel gebt und darunter kurz schreibt auf welches Wort/Kalenderwoche ihr euch bezieht. Bitte vergesst auch die Inhaltswarnungen nicht. Grundsätzlich müssen hier gleiche Regeln wie bei Blogeinträgen eingehalten werden.
Die Challenge ist es die Wörter so wie sie vorgegeben wurden im Text zu integrieren. Verben könnt ihr natürlich konjugieren, zusammengesetzte Substantive sind nicht „erlaubt"

Wortsammlung
KW 35: Anruf
KW 36: Selten
KW 37: Verantwortung 

Grille

Antworten Zuletzt bearbeitet am 09.09.2024 09:42.

Summer

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Re: Schreibzirkel: 52 Wörter

von Summer am 30.08.2024 20:48

Triggerwarnung: Selbstmord, Tod.


Es ist ein kühler Sonntagmorgen. Die Sonne geht gerade erst auf. Der helle Sonnenschein kitzelt auf meiner Haut und weckt mich mit ihrem grellen Licht auf. Verschlafen reibe ich mir mit der flachen Hand über die Augen, ehe ich aufstehe und mich fertig mache. Der heutige Tag bringt mich zum Jahrmarkt, der nur zu dieser Zeit des Jahres stattfindet. Ich habe mich mit meinen Freunden verabredet. Jenny, Liz und Maddy. Aber bevor ich überhaupt dazu komme, mich mit ihnen zu treffen, stapfe ich den Flur der Wohnung entlang. Mein Weg führt mich zur Küche, in der meine Mutter mich bereits strahlend begrüßt. Sie hat Pfannkuchen gebacken und stapelt mir welche auf einen Teller, die ich mit einem leckeren Honigsirup beträufle. „Guten Appetit, Liv.“, flötet sie und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich treffe mich heute mit den Mädels.“, erkläre ich ihr und stopfe bereits die erste Gabel gierig in meinen Mund. Es ist köstlich. Zu köstlich um es genussvoll zu essen. „Sei doch nicht so gierig!“, ermahnt sie mich mit einem grinsen auf den Lippen. Seit mein Vater gestorben ist, habe ich sie nicht mehr so fröhlich erlebt. Ich selbst bin auch schon 18 und hätte sicher auch in eine Wohnung ziehen können, aber ich wollte sie nicht alleine lassen. Dafür war sie mir einfach zu wichtig. Sie befand sich aktuell in Therapie und Augenscheinlich schien es ihr wirklich zu helfen.
Genau aus diesem Grund mache ich mir keine Gedanken, als ich das Haus verlasse und zum Jahrmarkt laufe. Die Musik ist bereits von weitem zu hören. Je näher ich dem Ort komme, desto lauter wird es. Schon am Eingang kann ich die Mädels ausmachen, die mich strahlend zu sich herüberwinken. Wir nehmen uns alle gegenseitig in die Arme und erzählen darüber, was wir machen möchten und wie lange wir bleiben würden. Die Zeit vergeht wie im Flug und wir gelangen in die Warteschlange am Free-Fall-Tower. „Das wird End krass“, ruft Maddy voller Adrenalin. Mein Blick fällt auf meine Hosentasche, in der sich mein Handy befindet. Ein kurzer Blick auf den Bildschirm verrät mir, dass es sich um einen unbekannten Anrufer handelt. Ich gehe grundsätzlich nicht ran, wenn jemand anruft, den ich nicht kenne. Deshalb schalte ich es auf stumm, stecke es wieder weg und folge den anderen auf das Fahrgeschäft. Das Adrenalin pumpt durch meinen Körper, als wir wieder festen Boden unter den Füßen haben. „Wir müssen später unbedingt nochmal hier her!“, verkündet Liz begeistert. „Aber erst müssen wir noch zur Schiffsschaukel!“, beschwert sich Jenny lautstark und harkt sich bei mir unter um mich in ihren Plan einzuweihen.
Nachdem wir auf der Schiffsschaukel und auch im Geisterhaus waren, befanden wir uns am Essensstand wo wir uns alle ein Stück Pizza kaufen. Ein kurzer Blick auf mein Handy verrät mir nicht nur die Uhrzeit, sondern auch mehrere verpasste Anrufe von einer unbekannten Person. Ein mulmiges Gefühl macht sich in meinem Bauch breit. Vielleicht doch etwas Wichtiges? Ich schalte mein Handy kurzerhand wieder laut und esse den Rest meiner Pizza auf. „Wollen wir noch bei mir abhängen?“, fragt Maddy schließlich und wir stimmen alle zu. Maddy hat einen riesigen Pool im Garten, den wir jeden Sommer benutzen. Jede von uns hat ihre Schwimmsachen bei ihr gebunkert. Bei Maddy zu Hause ziehen wir uns um, als mein Handy schon wieder klingelt. Dieses Mal gehe ich ran. „Hallo?“, frage ich. „Hallo, spreche ich mit Olivia Marten?“, fragt eine Stimme am anderen Ende. „Ja, die bin ich.“, erkläre ich verwirrt. Im Hintergrund kann ich das Dröhnen von Sirenen wahrnehmen. „Sie sprechen mit Dr. Williams aus dem Sorrow Krankenhaus.“, erklärt sie und holt dann tief Luft. Bei ihren nächsten Worten stockt mein Herz. Ich muss das Handy an meinem Ohr fest umklammern. „Ihre Mutter wurde eingeliefert. Es sieht schlecht aus.“, erklärt sie. Mein Atem geht schwer. Ohne ein Wort ziehe ich mir meine Klamotten über und mache mich auf den Weg. Von hier aus muss ich nur 10 Minuten laufen. Aus dem laufen wurde ein Rennen. Aus den 10 Minuten wurden 8 Minuten. Und in diesen 8 Minuten hörte das Herz meiner Mutter auf zu schlagen. Die Ärzte erzählten mir vor Ort was geschehen war, aber das Rauschen in meinen Ohren ist viel zu laut. Selbstmord. Heute früh war doch alles noch so einfach gewesen. Ein Anruf. Ein einziger Anruf hat mein gesamtes Leben zerstört.

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random.xme

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Re: Schreibzirkel: 52 Wörter

von random.xme am 31.08.2024 20:52

Königskind & Niederlage
Wort KW 35: Anruf
Die Einsamkeit der Stube zog Jacob schwer in ihre Arme. Er hielt das alles für eine gute Idee. Er hielt das hier für einen Weg der Selbstfindung und hatte sich gehörig geirrt. Zugeben wollte er dies nicht, aber er hatte es. Ein fies gebrochenes Herz, jahrelange Freundschaft und ein kaltes Fallenlassen später hatte er sich dazu entschieden, den Schutz des Königshauses zu verlassen und eine Grundausbildung zu machen. Wie sehr hatte er sich doch damals verschätzt. Es war die schnelle Lösung gewesen. Es war der einfache Weg so schnell, so weit wie möglich von alledem wegzukommen, was ihm bisher Schutz und Komfort gegeben hatte. Er wollte eine Grenzerfahrung, aber hatte kaum mit dem rechnen können, was er hier schlussendlich vorfand.

 

Königskind – so nannten sie ihn am Anfang. Er hatte nur einmal versucht zu widersprechen. Nur einmal hatte er versucht seinen Vorgesetzten darauf hinzuweisen, dass das faktisch nicht ganz richtig war, dass dieses Land nur eine Königin und ihren Gemahl hatte. Es gab keinen König dessen Kind er sein konnte, aber das hatte ihm nur Strafarbeiten eingehandelt. „Denk bloß nicht du wirst hier, als was Besseres behandelt" keiften sie ihn an. „Denk bloß nicht dir wird hier der Arsch gepudert" die Ankündigungen die mit „Denk bloß nicht..." anfingen, waren die ersten Wochen besonders häufig. Mittlerweile dachte Jacob gar nichts mehr. Mittlerweile war er der festen Überzeugung, dass die Menschen ihm hier das Leben nur noch schwerer machen wollten.
Seine beste Freundin – Kindheitsliebe und erste Freundin (für eine bezaubernde Woche, in der er wirklich glaubte alles hätte sich zum Guten gewandt) verlobte sich mit ihrem Ex-Freund. Während sie doch einen Tag davor ihm ins Ohr geflüstert hatte, das nun endlich alles gut werden würde. Dass diese On-Off Beziehung nun endgültig vorbei war, dass sie nun klarsehen konnte und sich nach seiner Liebe sehnte. Pustekuchen. Er fror, während er von den anderen an einem früh-frühlingshaften Morgen beim Laufen abgehängt wurde. Jahrelanges Sportverweigern zahlte sich wohl nun aus. Er war immer der Ruhige gewesen. Er zog es vor im Orchester zu spielen als auf dem Fußballplatz wie seine Schwester einem Ball hinterherzujagen. Er zog es vor gemütlich auf dem Sofa seine Nase in ein Buch zu stecken, als mit dem Mountainbike seinen Vater in Sorge zu versetzen. Und doch war ausgerechnet er es, der nun zu weiteren Strafrunden verdonnert wurde, nur weil er als Letztes ins Ziel kam. Zu Langsam. Ungenügend, zu schwach. Er hatte die letzten Wochen alles hören müssen. Für jemanden, dem sonst immer alles in den Schoß fiel, der fremde Sprachen lernte, als wären sie nichts weiter als ein Rezept, was man einfach ein paar Mal ausprobieren musste, bis es wirklich vorzüglich schmeckte – für so jemanden waren die dauernden Niederlagen schwer zu ertragen. Der Wettkampf der einzelnen Zimmer – hier nannten die Leute es Stube, der war kaum zu ertragen. Vielleicht auch weil er der Grund war, weshalb sie auf einmal immer auf dem letzten Platz lagen. Das einzige, was er gut konnte, war alles ordentlich und sauber halten, kaum der Rede wert, wenn man auf die vielen verschiedenen Disziplinen schaute, in denen er nach und nach mit weniger als ungenügend abschnitt.
Seit seiner plötzlichen Abreise hatte er sich nicht mehr gemeldet. Viele Abende an denen er sich gegen den Wunsch wehrte einfach wieder zurückzukehren, einfach aufzugeben und sich selbst diese Niederlage einzugestehen. Viele Abende, an denen er sich immer wieder selbst schwor, dass er das schon irgendwie packen würde, und dass er die 5 anderen um ihn herum kein Recht geben wollte, dass er hier nichts zu suchen hatte. Auch wenn er das im tiefsten Inneren seines Herzens eigentlich schon längst selbst glaubte.

Der Anruf ging nach Hause – das Internet war gut, die anderen in einer Kneipe und deshalb schaltete Jake sogar die Kamera ein. „Hi Mom...Hi Dad" sprach er dann mit einem breiten – aber gefaktem Lächeln in die Kamera. Natürlich waren da die ganz normalen Fragen die Eltern an ihre Kinder hatten, wenn sie mit knapp 19 Jahren über Nacht entschieden in die Grundausbildung zu gehen – so weit weg wie möglich und sich dann über Wochen nicht anständig zu melden. Seine Mutter war immer etwas reservierter gewesen als sein Vater, der seine Emotionen und seine Sorgen deutlicher nach außen trug. Vielleicht war ihm seine Mutter deshalb immer ein klein wenig lieber gewesen.

Grille

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random.xme

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Re: Schreibzirkel: 52 Wörter

von random.xme am 02.09.2024 20:31

Wort der Woche KW 36: Selten

Grille

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random.xme

21, Weiblich

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Re: Schreibzirkel: 52 Wörter

von random.xme am 09.09.2024 09:31

Reisetechnischer Optimismus 
KW 36: Selten

Freitag, 06.09.24 - 10:28

"Ihre Fahrt fällt aus" die rote Meldung meines DB-Navigators ließ mir das Herz in die Hose, wie den Lappen in das Spülbecken rutschen. Umorganisieren. Ruhe bewahren. Notdürftig trocknete ich meine pitschnassen Hände an der Hose ab und überflog meine neuen Reisedaten. Feuerwehreinsatz auf der Strecke aber hey: Meine Zugverbindung ist aufgehoben. "Das wird schon" murmelte ich mir selbst zu, als ich auf den Reiter "Alternativen suchen" klickte. U-Bahn, Regionalverkehr, Regionalverkehr, Gott sei Dank kein Bus. 2 Stunden länger unterwegs, 8 statt 6 Stunden bei sommerlichen 30° und voll ausgelasteten Zügen. 
"Tut mir leid Leute, aber da müssen wir heute durch" sagte ich zu meiner heutigen Reisebegleitung. Zwei Monsterableger und eine grün-blättrige Avocadopflanze äußerten sich schweigend zu unserer missligen Lage.
Selten habe ich mich weniger auf eine Zugfahrt gefreut - aber mit der richtigen Einstellung würde wohl auch dieses Abenteuer ein Rechercheluxus der ersten Klasse werden. "Ich mache einfach aus Scheiße Gold und schreibe darüber eine Kurzgeschichte" erzählte ich meiner Mutter in einer Audio und finde mich im ICE Richtung Norden wieder. Die Klimaanlage ist auf kuschelige seichte Erkältung gestellt und ich tippe auf meiner kleinen Handytastatur diese Zeilen. Neben mir riecht es nach kaltem Rauch, aber sonst scheint mein Sitznachbar sehr freundlich, aber kaum gesprächig zu sein. Der dicke Reiserucksack, der über die Jahre ein treuer Freund und eine genügsame Reisebegleitung wurde, liegt sicher verstaut in der Kofferablage und ich überlege, ob ich ihm einen Namen gebe. 
Freitag, 06.09.2024 - 11:28
Wir drei mussten unseren Sitzplatz aufgrund einer Reservierung räumen. Da vergisst man einmal sich selbst den DB-Studenten-Luxus zu gönnen und schon muss man samt Tasche, Pflanzen und mittelguter Laune den Wagon erkunden. 
Besetzt, reserviert, besetzt - frei. Ich ließ meine Tasche auf den Sitz plumpsen und erinnerte mich im selben Moment daran, dass zwei Pflanzen in Glasflaschen vielleicht einen pfleglicheren Umgang erwarteten. 
Alles nochmal gut gegangen. Meiner neuen (nicht nach Rauch riechenden, aber noch schweigsameren Sitznachbarin) klagte ich das Leid meiner Reisegenossen und mir. 
21 ist also das Alter in dem man zu einer diesen unangenehmen Zugreisenden wird, die sich gezwungen sahen ihre banalen Gedanken jedem mitzuteilen, der nicht nach 3 Sekunden die Kopfhörer demonstrativ & tief genug in die Ohren stecken konnte.
Berlin Hauptbahnhof, mein Geduldsfaden & gute Laune des Tages wird zum zweiten Mal auf die Probe gestellt, als eine laut krakelende Schulklasse ausgerechnet in unseren Wagen einsteigen muss. Jetzt rieche nicht nur ich nach Sommer und Stress, sondern auch eine Horde pubertärer Jugendlicher beginnen sich ihre Plätze zu suchen. Keine Reservierung. Warum auch. Man ist ja nur mit 30 Jugendlichen, an einem Freitag in einem ICE unterwegs. Was kann da schon schiefgehen. 
Erleichtert nicht die Aufsicht zu haben, setze ich mir schnell die Kopfhörer auf, damit mich niemand in ein Gespräch verwickeln kann.
Freitag, 06.09.2024 - 12:10
42% bis in den Norden würde mein Akku wohl kaum halten. Etwas in Gedanken steckte ich meinen Adapter in die dafür vorgesehene Steckdose zwischen den Sitzen. Ein Surren meines Telekommunikationsgerätes versicherte mir, dass es nun fleißig die Ladeanzeige in Richtung 100% bringen würde. 
"Bye Bye I dont want to be a fool for you. Just another Player in your Game for two" Summte ich in Gedanken mit, als ich nochmal einen Blick auf das Display wagte. Fährt der Zug etwa mit meinem Strom?! Die Ladeanzeige zeigte traurige 28% und ich hätte fast geschnaubt. 100% Ökostrom Deutsche Bahn? Das ich nicht lache 100% Strom argloser Technikfanatiker. Gerade als ich das aprubte Ende unserer Reise aufs Spiel setzten wollte, und das Ladekabel frustriert an mich reißen wollte, sah ich dass das vertraute Blitzsymbol gar nicht in der Leiste leuchtete. Ich checke lieber mal die Steckdose bevor ich in Gedanken eine saftige Reddit-Triade formulierte, die ich wohl nie abschicken würde. Ich saß bei einer der vielen ausgenudelten Steckdosen der ICE. Diese Art der Steckdose, bei der ein KfZ-Elektriker meines Vertrauens, wohl einen Schreckinfarkt bekommen hätte. "Was soll's" dachte ich mir und drückte das Bein gegen den Adapter bis ein zweites Surren mein Telefon durchfuhr. Jetzt musste ich halt nur genau so für die restlichen 2 Stunden Zugfahrt sitzen bleiben. Eine meiner leichtesten Übungen. "Bye Bye I dont really want to make it tough. I Just wanna Tell you that I had enough"
Freitag, 06.09.2024 - 14:30
9 Minuten Verspätung - nein wieder nur 7, warum kommen wir denn bitte jetzt doch erst 14:22 an?! 14:26 fährt meine U-Bahn - 5 Minuten laufe ich dort hin. Jedenfalls wenn ich wüsste wo ich eigentlich lang laufen muss. Der DB Navigator schickt mir freudig Updates, wie sich 2x umsteigen später das Gleis ändert - während ich mich frage ob auf dem Hamburger Bahnhof eigentlich ein Fluch liegt, weil ich mich nicht daran erinnern kann einmal genug Zeit zum Umsteigen gehabt zu haben. Nicht dass ich nicht dazu in der Lage wäre eine angemessene Zeit dafür bei der Ticketbuchung zu berücksichtigen - eher dass selbst eine Stunde Zeit zum Umsteigen irgendwie von Verzögerungen minimiert wird. Ruhe bewahren. Umorganisieren, vllt bleibt ja sogar Zeit für ein Franzbrötchen, wenn ich meine U-Bahn verpasse. Eine Stunde Lebenszeit & 2,00€ für ein Franzbrötchen. 
Freitag 06.09.2024 - 14:22 
Die U-Bahn hat auch 2 Minuten Verspätung, wenn ich die Beine in die Hand nehme und meiner Sportlehrerin ein weiteres Mal zeige, dass die unterdurchschnittliche Note im Cooper-Test mehr als ungerechtfertigt war, dann könnte ich es schaffen. 14:23...14:24. Der ICE hält an.
"NEIIIIIIIIIN" höre ich mich dramatisch schreien. Natürlich nur in meinem Kopf, am Ende halten meine Mitreisenden mich noch für völlig irre. Der Rucksack, an dem eine junge Dame hängt, die 2 Pflanzen unterm Arm trägt und alle 30 Sekunden den DB-Navigator aktualisiert. 
Das Gleis auf das wir fahren sollten ist noch belegt...das Gleis auf dem wir ankommen sollten ändert sich und ich spüre wie irgendwo unter mir, in den Tunneln Hamburgs meine U-Bahn gerade abfährt. "Das wird schon" spreche ich mir motiviert zu und freue mich auf ein Franzbrötchen mit weißer Schokolade.
Freitag, 06.09.2024 - 15:30
Saperlot, das gibt's doch nicht oder wie sagt man hier oben so schön: Wat et nit all jöwt. Da hat sich schon wieder jemand an meinem Lieblings-Gebäckstand vorgedrängelt. So sicher wie das Züge verpassen in Hamburg ist, sind auch die Kunden dieses Cafes, die so tun als würden sie mich und mein Schlachtschiff von Rucksack nicht sehen. Junge Frau, sie müssten dringend zum Optiker und ihre Brille polieren, diese Sehschwäche kann Lebensbedrohlich sein. Was übersieht sie als nächstes?
2,25€ pro Franzbrötchen. Wenigstens lächelt mich der Bäckereiverkäufer dabei an. Erstklassigkeit kennt nunmal auch seinen Preis. "Egal" sage ich mir und mache mich auf die Suche nach dem U-Bahn Gleis. Vorbei an einem wundervoll duftenden Blumengeschäft, rein in eine dunkle Enge, wuselige Menschen und bunten Kacheln, die wohl etwas Fröhlichkeit versprechen sollten. Ich dachte an mein Franzbrötchen und wie gern ich der Dame "Klei mi an de fööt" gesagt hätte und sie spüren lassen wollte, was passierte wenn man das Kampfgewicht von mir und meinem Rucksack unterschätzte. Sie wäre gestrauchelt und ich hätte mir einem diabolischen Grinsen 15 Sekunden eher mein überteuertes Franzbrötchen bezahlt. Wie albern der Gedanke doch war. Wenigstens brachte er mich zum schmunzeln.
Ich spüre meinen Hintern nicht mehr. Als hätte mir der Zahnarzt statt ins Zahnfleisch, die Betäubung direkt in mein Sitzfleisch gejagt. Meine beiden Pflanzen hielten tapfer auch die Fahrt durch den Hamburger Speckgürtel durch (immerhin hatten sie einen Sitzplatz am Fenster bekommen). Untergrundbahnen fuhren hier in Hamburg nicht alle im Untergrund. Manche fuhren auch an der frischen Luft, fast so wie kleine Würmchen die es eben auch Mal genossen sich die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen.
Nun sitze ich wieder. Und zwar auf einem Bahnsteig der mit einem Knacken in der Leitung und einem süßlichen: "Wegen hoher Auslastung gibt es Einschränkungen auf...ja genau ich sehe richtig, genau auf der Linie die du arme Maus fahren willst. Da haste Pech" - zugegeben, den zweiten Teil habe ich dramaturgisch etwas meinem Gefühl angepasst. Ich beiße in mein Franzbrötchen und denke daran, wie mein Rucksack, meine Pflanzen und ich uns den Weg in einen überfüllten Wagen kämpfen.
"Klei mi an de fööt" werde ich rufen und wahrscheinlich werden mich alle für irre halten.
Freitag, 06.09.2024 - 18:06
Natürlich habe ich nichts gerufen & ich habe auch nicht geschubst als ich in den Zug kletterte. Meine Pflanzen auf dem Schoß, den Rucksack zwischen den Beinen. Eine Schulklasse steigt ein.
"Warum immer ich" - diesmal sage ich es sogar laut. Das einzige was noch schlimmer wäre, wäre eine zweite Schulklasse oder gar ein Junggesellinnenabschied. Eine zweite Klasse, mir nur allzubekannte Klasse hüpfte nach mir in den Zug. Ich erkannte einige der Schülerinnen aus dem ICE und seufzte leise. Ein Junge nahm neben mir Platz und natürlich musste es ausgerechnet der sein, der alle 20 Sekunden seine Seele durch die Nase nach oben zog - wobei sein Gaumensegel jedes Mal ein widerwertiges Schnarchgeräusch machte. Ich fragte mich, ob diese Fahrt nur schlimmer werden konnte und ja...ja das konnte sie.
Nachdem wir nach der 4. Von 19. Haltestellen im 3 Minutentakt Zustände aus 9€-Ticket Zeiten erreicht hatten, alle Fahrradfahrer längst aus den Räumlichkeiten der DB entfernt wurden - würde auch langsam die Luft immer schlechter. So fleißig wie die Klimaanlage auch feuerte, sie gab nach nicht mal 10 Minuten Fahrt gänzlich den Geist auf und wir waren auf die spärlich gekippten Fenster angewiesen, die bei jedem Halt für 2 Sekunden die weniger stickige, dennoch warme Sommerlift in das Innere der Sardinen-Büchse pustete. Je mehr Leute einstiegen, desto langsamer wurde der Zug. Die Verspätung summierte sich zu fatalen 20 Minuten. Anschlusszug nicht erreichbar. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob weinen ein ernsthafter Lösungsversuch war? 
"Soll ich dich abholen?" Ein seichter Tränenschleier ließ mich die Buchstaben auf den ersten Blick nicht identifizieren - aber sie waren da und ich tippte aufgeregt: Ja bitte! Mein Akku war bei 8%, ich bekam keine Luft mehr im Zug, meine Tasche war schwer und die Monstera ließ die Blätter geschafft hängen, als ginge es ihr da ganz ähnlich wie mir. Mein Reiseoptimismus von heute früh war wie weggefegt und ich brauchte dringend eine Umarmung auf Rezept! 

Grille

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random.xme

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Re: Schreibzirkel: 52 Wörter

von random.xme am 09.09.2024 09:42

Wort der Woche KW 37: Verantwortung 

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Sprenkel

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Re: Schreibzirkel: 52 Wörter

von Sprenkel am 15.09.2024 10:50

Eigenverantwortung als Mami und darüber hinaus.
Zum Wort der KW 37: Verantwortung.

Wo ist die Verantwortung in der heutigen Zeit? Wer will überhaupt noch verantwortlich sein? Ist es etwas Positives oder Negatives, die Verantwortung für etwas zu tragen? Manchmal scheint es ja schon fast trendy zu sein, die Verantwortung einfach von sich zu weisen. Nichts leichter als das. Es gehört sogar zur Tagesregel, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Denn ansonsten können Konsequenzen auf einen warten. So ist dies zum Beispiel mit der rechtlichen Absicherung. Solange man schön tut, was rechtlich von einem verlangt wird, kann man nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn was Schlimmes passiert - man hat ja schließlich lediglich nach Recht und Ordnung gehandelt. Aber was ist, wenn man in so einem Fall die Verantwortung einfach von sich schieben kann? Handelt man dann immerzu nach bestem Willen und Gewissen? Oder handelt man einfach nur noch entsprechend der Vorgaben von oben, durch die man rechtlich abgesichert ist? Was ist mit Vorschriften, hinter denen man eigentlich nicht stehen kann? Oder bei denen man sogar genau weiß, dass sie eigentlich gegen das Wohl des Menschen sind? Nimmt man dann die Verantwortung auf sich oder geht man lieber den einfacheren rechtlich abgesicherten Weg? Zum Beispiel als Arzt. Schließlich steht doch auch der Job auf dem Spiel, wenn man nicht das tut, was einen rechtlich absichert.

Ich schreibe dies, da ich Mami bin. Und ich für meine Tochter selbst die Verantwortung übernehme. In der Schwangerschaft, während der Geburt und während der gesamten Mutterschaft. Und ihr glaubt nicht, wie oft mir Ärzte und Hebammen einreden wollen, dass sie das Recht hätten, Entscheidungen zu treffen, da sie mit eine Verantwortung tragen und es nicht mit dieser Verantwortung vereinbaren könnten, wenn ich dies oder jenes tue. Oder eben nicht tue. Und glaubt mir, da bin ich nicht das einzige Mami. Während den Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft, während der Geburt, aber auch noch danach wird so vieles über Mutter und Kind entschieden und "einfach so gemacht", obwohl es gar nicht notwendig ist und teils sogar mehr schadet als hilft. Es wird oft mehr untersucht als notwendig, es werden oft mehr Medikamente oder Präventionspräparate verschrieben als notwendig und man wird oft dazu gedrängt, das Neugeborene mit Pulvermilch zu ernähren, wenn es nicht gleich klappt mit dem Stillen. Und dies, obwohl jede Hebamme wissen sollte, dass das Stillen auf dem Prinzip von Angebot nach Nachfrage basiert und man mit der Verwendung von Pulvermilch gar nicht erst zu genügend Nachfrage der Muttermilch kommen kann. Eigenverantwortung ist als Mami also noch mehr gefragt, als man denkt. Denn wenn man die Verantwortung abgibt, und das tut man umgeben von Ärzten noch gerne mal, dann wird eben das gemacht, mit dem sich die Ärzte am besten rechtlich absichern können, was nicht immer mit dem übereinstimmt, was für einen das Beste ist. Zu dieser Eigenverantwortung gehört meiner Meinung nach, dass man sich während der Schwangerschaft ausgiebig selbst darüber informiert, was es für Möglichkeiten gibt, welche Möglichkeiten unter welchen Umständen notwendig sind und was für Alternativen es gibt. Und diese Eigenverantwortung ist nicht nur als Mami wichtig, sondern für jeden Menschen in jeder Lebenssituation. Natürlich ist es manchmal unverzichtbar, dass wir uns auf andere Menschen verlassen müssen. Aber es gibt genug Situationen, in denen es nicht schadet, etwas mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, auch wenn die Wege dann teils auch etwas holpriger sind, als die Üblichen. Vielleicht sind wir ja genau deshalb hier: Um zu lernen, eigene Wege zu beschreiten und die Zügel dafür selbst in die Hand zu nehmen, auch wenn man manchmal gegen den Strom schwimmen muss. Und so öffnen sich teils auch ganz neue Türen, die einen weiterbringen.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 15.09.2024 10:51.

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